Stahlstadtkinder: Das Gesamtwerk der legendären Linzer Band endlich auf CD!
Aus dem nichts (vergleiche das erste Kapitel von "Es muss was geben." von Andreas Kump) der Industriestadt Linz enstand Ende der 1970er-Jahre eine alternative Musikszene, die es in sich hatte. Als wichtiger Bestandteil dessen, beinahe sogar Szenebestimmend, galt die Band [Willi Warma]. Ende 1976 besuchten Kurt Holzinger und Peter Donke ein Konzert der Band [Kasperltheater]. Begeistert von der Darbietung von Julius Zechner, der als Solo-Gitarrist einen interessanten Eindruck machte, luden Holzinger und Donke diesen in ihre Band ein. Dazu gesellte sich dann noch der Schlagzeuger Christian Unger und die Band begann im Wohnzimmer zu proben. Stark vom englischen Punk, Pop, Rock'n'Roll, Ska und New Wave beeinflusst, fanden sie ihren eigenen Sound. Der Name [Willi Warma] (abgeleitet von dem in London entdeckten gehäkelten "Willie Warmer") sollte den verruchten, geheimnisvollen Punk-Glam der vier Jungs von dem bisherigen Musikschaffen in Linz abgrenzen.
In den folgenden Sommerferien findet das erste Konzert der Mittelschüler
(aus dem Umfeld von Arztsöhnen) in der sturmfreien Unger-Villa vor 30 Gästen
statt, darauf folgt ein glamuröser offizieller Auftritt im
Jugendzentrum, eigeleitet mit dem Vorfahren in Daddys Jaguar. In der
Zeit von 1977-1983 spielte [Willi Warma], die eine immer größere
Fangemeinde mitriss, unzählige Konzerte. Dabei war das Café Landgraf
(ein ehemaliger Tanzpalast) der Treffpunkt, beziehungsweise das
Wohnzimmer der Punk-, New Wave- und Underground-Szene. Bis zu 300
Menschen (darunter viele Wiener) drängten sich in das Café um
teilzuhaben an dem, was hier passierte. [Willi Warma] und das Café
Landgraf galten gut zwei Jahre lang als das Angesagteste, was es in der
ehemaligen Stahlstadt Linz gab.
Im Café Landgraf
1980 erschien die erste offizielle, in englisch gesungene, EP
"Donaustrand" (produziert von österreichs Punk-Urgestein Ronnie Urini
von The Vogue), auf die unter anderem der Song "Streetcorner Hero" von
[Willi Warma] auf blaues Vinyl gepresst wurde. Allein in Linz wurden rund
500 Stück verkauft.
Cover von der EP "Donaustrand"
Auch Ö3 und das U4 trugen zu dem
Stahlstadtkinder-Hype bei und Artikel in den verschiedensten
Musikzeitschriften folgten. Von nun an wurde öfter in Wien als Linz
gespielt, sowie in anderen größeren österreichischen Städten. Sieben
bis acht mal in Monat standen Sänger Kurt Holzinger, der "karottenhaarige
Willy" (Kronen Zeitung), Gitarrist Julius Zechner, Bassist Peter Donke und
Schlagzeuger Christian Unger auf der Bühne, auch die provinziellsten Kaffs in
Österreich bekamen dadurch eine Ahnung von Rock'n'Roll. Der rebellische
Style, Popstarallüren und die Exzesse führten teilweise zu
Auftrittverboten, dennoch schweißten Willi Warma eine verschworene
Gemeinschaft zusammen.
Inspiriert von den Fehlfarben wendeten sich [Willi Warma] von den Coverversionen und eigenen englischen Songs ab und beginnen auf deutsch zu texten. Es entstehen Songs wie "Blöd im Hirn" oder "Janine D" - gesellschafts- und kapitalismuskritische Statements mit wachem und scharfem Blick auf die Gegenwart 1980. Mit dem Ska-Song "Stahlstadtkinder" (1981 als Single veröffentlicht) zeigten [Willi Warma] ihr wahres Potential und gaben der Szene eine Hymne, mit der sich all die dissidenten Stahlstadtkinder identifizieren konnten. In gewisser Weise werteten sie damit auch ihre Heimatstadt Linz auf, die neidische Blicke auf ihre alternative, noch nie dargewesene Szene, zog. Außerdem wird das rebellische "Ich sprenge alle Ketten" aufgenommen, eine Coverversion von Giorgio Moroder und Michael Holm.
Eine massenhafte Distribution der Singles von [Willi Warma] gelang
dennoch nicht. Die großen Labels interessierten sich mehr für die
Shootingstars [Waterloo & Robinson] oder Stefanie Werger. Auch Ö3 machte eine Kehrtwende und setzte "Stahlstadtkinder" nach einer
Gemeinderatssitzung sogar auf den Index.
Nirgendwo sonst gibt’s so viele Polizisten / Legalisierte Terroristen /
Nirgendwo sonst gibt’s täglich Smogalarm / Fahren lustige Zombies in der
Straßenbahn / Stahlstadtkinder, immer im Duell / Stahlstadtkinder leben viel
zu schnell / Stahlstadtkinder in den Stahlfabriken / Und abends besoffen in
den Discotheken
Nach dem Austritt von Christian Unger zerfiel die Band nach und nach.
Die Neue Deutsche Welle rollte über Österreich und trotz fabulöser
Live-Auftritte floppen Willi Warmas Tonträgerprodukte. Julius Zechner
wendete sich immer mehr dem Heavy Metal zu, bis er sich gänzlich von Peter Donke und Kurt Holzinger löst. Christoph Raffetseder (von der [Jay
Band]) wird als Ersatz gefunden und 1982/83 wurde die Nummer "Die ganze
Welt tanzt so wie du" aufgenommen. Nach dem ersten Auslandsgig in
Nürnberg löste sich die Band endgültig auf. Julius Zechner erkrankte
einige Jahre später an AIDS und starb 1992.
Das Gesamtwerk "Stahlstadtkinder" von [Willi Warma], besteht aus 19
Originalaufnahmen von 1979-1982 (die alle hier genannten Songs
beinhalten) und auch unveröffentlichte Live-Aufnahmen. Im Booklet
findet sich zudem eine
ausführliche Bandbiographie, Fotos und Hintergrundinformationen. Produziert
wurde die CD von Peter Falkner ([Attwenger]) und 2008 veröffentlicht auf [Fisch Records].
Mehr über [Willi Warma] und die Linzer Szene gibt es in Andreas Kump "Es muss was geben. Die Anfänge der alternativen Szene in Linz." nachzulesen!