Peter Weibel | 1944 - 2023

Er war Vordenker, Nachdenker, ungestümer Provokateur, feinfühliger Intellektueller und ließ sich auch sonst schwer in eine Schublade (oder besser: in einen Datensatz) pressen. Mit Peter Weibels Tod ist der internationale Kunst- und Kulturbetrieb um eine schillernde, verdienstvolle und engagierte Figur ärmer. Seine musikalischen Experimente u.a. mit dem Hotel Morphila Orchester haben auch hier im Archiv ihre Spuren hinterlassen.


Von den frühen Interventionen des Wiener Aktionismus (Stichwort Uni-Ferkelei) über die Spaziergänge an der Leine von Valie Export bis hin zum langjährigen Leiter des ZKM (Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe) hinterlässt Peter Weibel ein kaum überschauberes künstlerisches und theoretisches Vermächtnis. Als kleines Kind ist er  inmitten der Nachkriegswirrnisse mit seiner Mutter aus Odessa ins oberösterrische Ried im Innkreis gekommen. Seither schien sein Leben keinen Stillstand zu kennen: Sowohl in geographischer als auch in medialer Hinsicht war er ein Nomade, der sich stets nach neuen existenziellen und künstlerischen Möglichkeiten umsah.

Da seine Hochgeschwindigkeitsgedankenketten immerzu damit beschäftigten schienen, Gegensätze, Datenstätze, Vorsätze, Nachsätze, Zusätze, Ansätze etc. zu produzieren, war es für den Multimedial-Künstler avant la lettre wohl nur folgerichtig, dass er sich auch mit der ähnlich schnellen gitarren- und beatlastigen Rockmusik als Ausdrucksmedium befasste.
Das 1978 gemeinsam mit Künstler und Gitarristen Loys Egg gegründete Projekt Hotel Morphila Orchester lieferte das perfekte experimentelle Umfeld dafür. Ursprünglich hatte sich Weibel als Anhänger der "Dirty Speech" Bewegung für den Bandnamen "Stinkende Hoden" stark gemacht, konnte sich damit aber bei seinen Bandkollegen nicht durchsetzen. Als Inspiration nannte Weibel vor allem die Musik von Bands wie The Doors und The Velvet Underground, die er dem "stumpfen Testosteron Rock'n'Roll" von Elvis Presley & Co vorzog, wie er im unten verlinkten Falter-Interview erzählt.
Die Präsentation der berühmtesten Single "Sex in der Stadt" fand in einem Stundenhotel statt, die Pressekonferenz in einer Telefonzelle am Graben, ging es doch in dem aus anzüglichen Zeitungsannoncen zusammengestückelten Lied auch um Tele-Sex und die Facetten der urbanen Libido. Zudem durfte das Lied wenig überraschend nicht von den Radios gespielt werden und konnte ohne entsprechenden Tonträger nur dann gehört werden, wenn man eine bestimmte Nummer ins Telefon tippte (Streamen war in den 80ern natürlich noch keine Option). Über 40 Jahre sind vergangen seit 1982 das einzige Album "Schwarze Energie" erschien, und doch sind die darauf versammelten Tracks besser gealtet als so manche andere Klangexperimente ihrer Zeit. Ihr fixer Platz in der Geschichte des Underground-Austropop ist ihnen jedenfalls gewiss.

So bleibt nur noch danke zu sagen: Peter Weibel, dein freundlicher Elan, deine kreative Energie und dein Ideenreichtum werden uns fehlen!


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Weiterführende Links:

Falter-Interview über Weibels musikalischen Werdegang und seine Inspirationen:

https://www.falter.at/zeitung/20120530/ich-liebte-sehr-die-geraeusche/1647480055

Aktuell kann der autobiographische Film "Peter Weibel - Mein Leben" in der ORF tvthek abgerufen werden:

https://tvthek.orf.at/profile/kulturMontag/13886866/kulturMontag/14170519/Peter-Weibel-Mein-Leben/15352187

Auf Ö1 gibt es wohl nur noch für kurze Zeit einen hörenswerten Nachruf zum Thema "Peter Weibel und die Musik"

https://oe1.orf.at/programm/20230303/721618/Peter-Weibel-und-die-Musik

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Coverfoto: © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Christof Hierholzer