In Erinnerung an Werner Geier
Nachricht von Werner.
Unlängst hab ich hier
anlässlich des Geburtstags des stilprägenden Plattenshops Rave Up ein
paar biographische Daten meines alten Kollegen Werner Geier eingewoben
und dabei festgestellt, dass er zuletzt einige Male vorgekommen war,
hier im Journal; als jemand, der mir hier assoziativ eingefallen ist oder auch als Bedeutungsgeber für ein wichtiges Wort.
Das ist insofern seltsam, als ich ihn ja (genausowenig wie der Rest der welt) seit Jahren nicht mehr gesehen habe.
Gestern dann äußerte meine Kollegin Marian Schönwiese leise
Besorgnis, weil er, der Werner, ihr auf ihr letztes
Hallo-wie-gehts-dir-Mail aus der Vorwoche nicht geantwortet hätte. Vor
allem, weil die letzte, die davor Kontakt hatte (Mirjam Unger) sofort
eine Antwort kriegte. Und ich, irgendwie von den zuletzt
herumschwirrenden Assoziationen geleitet, sag ihr noch was in der Art
von dass das wohl davon abhängen würde, wie gut er grade beinand wäre.
Heute Vormittag ist dann Marcus Makossa Wagner am Telefon und erzählt, dass Werner gestern gestorben sei.
Der Schock damals, als er von
der Krankheit erfahren habe, sagt Matthias Schönauer, den ich im Lift
treffe, wäre größer gewesen als der jetzt. Das hängt damit zusammen,
dass damals (und das ist jetzt auch fast zehn Jahre her) schon
klargewesen wäre, dass es sich um eine unheilbare, zum Tode führende
Krankheit handelt, ein seltenes Nervenleiden, ein heimtückisches, nicht
behandelbares Leiden.
Das Grausame an dieser Krankheit war, dass sie den Bewegungsapparat
angriff, dass sie also all das, was für Werners Arbeit und Leben als
Autor, Moderator, DJ und Produzent von zentraler Wichtigkeit war,
stahl, seine Hände und auch seine Stimme.
Für mich war der Schock auch damals nicht so groß, weil diese
Schwächung von Werners System schleichend voranschritt. Und wenn jemand
über Monate lang immer undeutlicher spricht, wenn jemand sich über
Monate hinweg immer mehr damit plagt, eine Platte aus der Hülle zu
holen, dann fällt das nicht nur weniger auf, dann sieht das auch
weniger schlimm aus.
Ich denke, dass sich auch der Werner in dieser leisen Veränderung
lange zu sicher gefühlt hat. Auch weil das die Umgebung, Menschen wie
ich, reflektierte.
Ich erinnere mich
an
ein langes Gespräch mit Katharina Weingartner, seiner ideologisches
Partnerin bei Tribe Vibes, der Geburtszelle für die Beschäftigung mit
HipHop in diesem Land und von österreichischem HipHop überhaupt.
Sie hat erzählt, wie lange sie brauchte, um Werner dazu zu
bringen, sich doch von einem Spezialisten (ich glaube in Deutschland)
untersuchen zu lassen, nachdem die heimischen Ärtze von seiner
Krankheit (einer, an der weltweit vielleicht ein paar hundert Menschen
leiden) einfach überfordert waren.
Andererseits, und das hab ich auch mitgenommen, klang in dieser
Erzählung auch die Bedeutung des sozialen Netzes mit, das Werner
stützte: seine Lebensgefährtin, seine Familie und enge Freunde.
Dass die Nachricht von Werners Tod irgendwann kommen würde, war
allen klar. Als er sein Studio verkaufte, sein Label Uptight an Partner
Rodney Hunter abtrat und sich komplett aus dem öffentlichen Leben
zurückzog, als er vor allem seine riesige und immer mit höchster Liebe
gepflegte Plattensammlung veräußerte, da waren alle, die ihn kannten,
alarmiert, als hätte jemand einen Countdown ausgerufen.
Seitdem gab es nur noch
Mail-Kontakt. Mein letzter mit ihm drehte sich um die Frage, ob er
nicht Lust hätte, hier als Webhost aufzutauchen. Das Schreiben fiel ihm
zwar, rein körperlich, auch nicht mehr leicht, aber als Nachdenker und
Kulturkonsument wäre diese Form der Elektropost an die Außenwelt nicht
nur machbar, sondern auch höchst sinnvoll gewesen.
Werner überlegte, listete ein paar Pros und Cons auf und entschloss sich dann, es nicht zu machen.
Das hatte wohl auch damit zu tun, dass er sich in allererster Linie
als Radio- und Sound-Mensch verstand, der zwar mit seinen klugen,
analytisch präzisen, genau beobachtenden und manchmal in zärtlicher
Verwirrung poetischen Sätzen ein brillanter Autor, aber in erster Linie
ein Performer war.
Jemand, der mit seiner Stimme und ihrer Modulationsfähigkeit
arbeitet, jemand, der Musik als Basis und Bett und Ausgangs- und
Zwischendurch- und Endpunk brauchte.
Als es mit seiner Stimme immer schlechter wurde, gab es den Plan,
seine Sendung "Rough Mix" von jemand anderem lesen zu lassen. Auch das
scheiterte nach einer Versuchsphase. Wohl auch, weil Werner sich nicht
wirklich als Texter sah, weil er ohne die persönliche Verve, die er
seinen Worten mitzugeben verstand, nicht auskommen wollte.
Werners Bedeutung für das, was
man heute Jugend- und Popkultur nennt, kann man gar nicht hoch genug
einschätzen. Er hat mit seiner Intensität und seiner Beharrlichkeit
gleich drei verschiedene Genres befördert (das, was man heute
Indie-Rock nennt, den gesamten heimischen HipHop, von den Machern bis
zur Rezeption und auch einen großen Teil dessen, was man unter Wiener
Downtempo zusammenfassen könnte) und darüberhinaus vieles andere (von
der aufkeimenden Dance-Culture-Szene bis zu Noise-Spielarten)
ermöglicht.
Er war da wohlgemerkt nicht der Einzige, aber der Vorderste und der Sturste. Er meinte es ernst.
Ich erinnere mich, als er einmal in der Kantine einer Ö3-Sekretärin
erklärte, warum ihr Sender eigentlich den ganzen Tag Wire spielen
sollte anstatt des Mainstream-Schrotts und warum genau das die
wichtigeste und richtigste Popmusik zur Zeit wäre. Natürlich verstand
sein Gegenüber nicht, was er meinte - es war ihr auch ein bisserl
wurscht - aber ich sehe noch die Faszination vor mir, mit der sie den
aufwühlend argumentierenden Werner betrachtete, und den Respekt vor
seiner Sprache.
Werners große Stärke, seine
Sturheit und Beharrlichkeit, war natürlich auch seine große Schwäche.
Irgendwie zwang ihn da das Medium, sein Medium, das Radio, dazu
irgendwann einmal auch fertigzuwerden, aber er fizzelte immer bis zum
letzten Moment an Details herum, immer noch während der bereits
laufenden Sendung.
Werner baute und produzierte - live war er nicht gut, weil er seine eigenen (idealisierten) Ansprüche da nicht erreichen konnte.
Dieser Ansatz verhinderte, dass er als Produzent effektiv arbeiten
konnte - denn ohne Deadline bzw. in einem Jajamorgen-Business ist es
leichter, das Fertigwerden bis an den St.Nimmerleinstag
hinauszuschieben.
Werner brauchte also das Radio.
Und das Radio, speziell die Musicbox, brauchte Werner.
In einem Zentral-Komitee der sturen Böcke, der
aufeinanderprallenden Meinungen und einem Klima des Dauer-Diskurses war
es seltsamerweise der inhaltlich so extrem zielsichere Werner Geier,
der im sozialen Redaktions-Leben auf Ausgleich und Konsens setzte.
Teilweise bis zur Selbstverleugnung.
Werner fiel es schwer, das Wort "Nein" auszusprechen.
Er ließ sich lieber einen Gipsfuß
verpassen und täuschte so einen Unfall vor ("mir ist der Kasten auf den
Fuß gefallen!"), als eine Reise abzusagen, die er nicht machen wollte.
Er ließ zu, dass ein verärgerter Freund nach der 17. nicht
eingehaltenen Verabredung bei ihm zuhause die Feuerwehr rief, um die
Wohnung aufzubrechen, anstatt vorher zu sagen: "Ich mag heute nicht."
Diese Absurditäten und Seltsamkeiten machten ihn, den Vorzeige-Könner, greifbar und angreifbar, auch im Wortsinn.
Genauso wie sein Interesse für Weltkriegs-Memorabilia, einem an
sich anrüchigen Gebiet, das aus einem Interesse eines Teiles der New
Wave-Bewegung an der technischen Faszination dem Nazi-Kult gegenüber
speiste. Dass dieser Ansatz strikt antifaschistisch war, ist heute
ebenso schwer zu erklären wie vieles, was in den seltsamen 80ern und
später wie selbstverständlich passierte. Die Fachkenntnis zu bestimmten
deutschen Panzer-Typen brachte Werner in den letzten Jahren im übrigen
zu Ehren in Historiker-Kreisen und (via An- und Verkauf über eBay) auch
einen Teil seines Einkommens.
Werner, der aus Mürzzuschlag nach Wien kam, wohnte lange Zeit bei
mir um die Ecke, gegenüber meiner alten Volkschule. Für meine Mutter,
die er öfter im Supermarkt traf, war er ein charmanter Plauderer, für
seine Umgebung eine geschliffen höfliche heimische Version des jungen
Morrissey, für seine Anhänger, die an seinen Lippen hingen, war er
jemand, dem man komplett vertrauen konnte, dessen Urteil nicht in Frage
gestellt wurde. Von seiner wirklichen Persönlichkeit gab er allerdings
nie wirklich viel her: er trennte da recht strikt zwischen öffentlichem
Bild und Privatem.
Das änderte sich, als sich sein
Fokus änderte, als es ihm zuwenig wurde, "nur" über Kultur und Musik zu
berichten, als er unter die Macher ging. In sein Uptight-Projekt hing
er sein ganzes Herzblut, auch bis zu einer gewissen Verausgabung.
Als dazu dann das Ende der Musicbox-Ära kam, war Werner schwer
getroffen. Er, der schon die letzten Box-Jahre gemeinsam mit Fitz
Ostermayer eher lose geleitet hatte, konnte (und wollte) nicht wie
andere seine volle Kraft in ein Nachfolge-Radioprojekt stecken.
Werner entwarf das Grund-Layout für FM4, beteiligte sich massiv am
Aufbau der Musik-Spezialsendungen, war einer der leitenden Redakteure,
aber er war nicht mehr mit vollstem Herzen dabei. Die Enttäuschung,
über das neue Projekt das alte aufgegeben haben zu müssen, war zu groß;
die Musicbox war ihm zu wichtig.
Rationale Argumente, dass es ein Ausgedinge auf Ö1 (die einzige
damals anstehende Alternative) nicht bringen würde, unterstützte er
zwar - froh wurde er nimmer.
Als sich in den Folgejahren dann erste Anzeichen der Krankheit
einstellten, führte Werner das unter anderem auch auf diesen inneren
Stress zurück; ein Irrtum, wie sich später herausstellte, einer, der
zur weiteren Entfremdung beitragen sollte.
Um die Jahrtausendwende zog sich
Werner dann in den Kosmos seiner Rough Mix-Sendung (einer
stilübergreifenden Sound- und Text-Sammlung) und aufs DJen zurück, bis
auch das nicht mehr möglich war.
Seitdem fragen sich Zeitgenossen und Weggefährten, wenn sie
einander treffen in regelmäßigen Abständen, ob der jeweils andere denn
etwas Neues vom Werner gehört hätte.
Und, ja, immer wieder gab es Lebenszeichen.
Und, ja, immer machten sie einen traurig, weil man ja wusste, dass
hier soviel Potential und Wissen und Übersicht und Kraft existieren
würde, die nach draußen wollte, aber nicht mehr konnte.
Und, ja, irgendwie gab es schon so etwas wie ein kollektives
Bewusstsein, dass es irgendwann einmal, bald, heißen würde, dass der
Werner gestorben wäre.
Und, ja, trotzdem hatte man doch Furcht vor diesem Tag.
Nachruf von Martin Blumenau auf der FM4-Website