Madita - Pacemaker

Feuerwerk der Neuronen

Mit ihrem dritten Album findet sich Madita im stechenden Trockeneisnebel einer düsteren Disco in den späten achtziger Jahren wieder. Zwischen spaciger Elektronik, analogem New Wave, trashigem Neunzigerfeeling und kühler Überlegenheit gibt sie mit „Pacemaker“ das Tempo vor. Und das ist gewaltig.

Madita - Cover

CD

Nach 3 Minuten und 25 Sekunden schießt mir die Frage in den Kopf: „Was hast du mit Madita gemacht?“

Vielleicht inspiriert durch den Titel des Openers „ET“ hat sich in meinem Kopf der Verdacht bereit gemacht, extraterrestrische Spaceproduzenten hätten die in Wien lebende Schauspielerin und Sängerin entführt und eine neue Version von ihr auf die Erde zurückgeschickt.

Denn in den ersten Minuten von „Pacemaker“ treibt eine verstaubte Drummachine den Rhythmus an, während im Hintergrund sphärische Synthieflächen umherschweben, bis ein fetzig gespielter Bass schließlich eine irdische Referenz Preis gibt. Die Blütezeit von „Madchester“ und seiner musikalischen Electro-Revolution kommt einem in den Sinn, während die schnurrende Bassline gnadenlos ihre Schneise durch den Tanzboden zieht. Auch das sachte mit Vocoder bearbeitete, zart gehauchte „Runaway“ entführt uns in ein komplett neues Raum-Zeit-Kontinuum.

Zwar erinnert die Gesangslinie des Refrains an den better brother des Vorgängeralbums, doch die glitzernden Gitarrenakkordzerlegungen und die spiegelsonnenbebrillte Coolnes der dumpfen Achtzigerbeats lassen keinen Zweifel zu, dass hier auf musikalischer Ebene der vermeintliche Lollypop durch synthetischen Schnee ersetzt wurde.

Vor allem „Hey You“, das mit seiner künstlichen Snare-Drum und stolperndem Synthibass-Feeling zuerst noch etwas ziellos scheint, explodiert förmlich in eiskalte Soundkristalle, die einen das Beatgewitter in doppelter Geschwindigkeit ins Gesicht fegt.

Der Pacemaker scheint bei Madita ein Android zu sein, denn fast jegliche organische Substanz der Instrumentierung ist den Maschinen gewichen. Wenn das Tempo zwischendurch wie bei „Take Me“ zurückgenommen wird, erklingt lediglich ein verhalltes Klavier und dumpfe Herzschläge und mulmige Tieftöne bilden den reduzierten und abstrakten Klangboden für Maditas Stimme, die einen dünnen Grad zwischen Ausbruch und Zusammenbruch markiert. Doch das Tempo wird gleich wieder erhöht. Schließlich bleibt keine Zeit, wenn Snake Plissken alias „Die Klapperschlange“ sich im dystopischen Sciense Fiction Klassiker ins Hochsicherheitsgefängnis Manhattan begibt, um seine Mission zu erfüllen, bevor eine explosive Miniaturkapsel seine Halsschlagadern zerfetzt.

Doch diesmal hat unser Held nicht John Capenters Musik im Kopf, sondern Maditas düstere Electroballade „Till I“. Der perfekte Soundtrack für unmöglich scheinende Aufträge, der durch das wundervolle Timbre Maditas ein tiefes Gefühl der Hoffnung entstehen lässt, selbst wenn um einen herum sich Geister und Untote aus der Kanalisation erheben.

Im nächsten Track scheint Madita in eben jene Tiefen hinab zusteigen. „Deep“ beginnt wie ein merkwürdiges Stück Spacefunk, das sich dem Hörer zu versperren scheint. Exzentrischer und frecher als Róisín Murphy lotet Madita in androgynem Neonfarbengewand selbstsicher den musikalischen Untergrund aus. Zwischen den Noten wird sogar der rohe Gesang in einer entfernten Aufnahmebox hörbar, ungeschliffen, ehrlich, nackt und frei von jeglicher Bearbeitung. Die Seele der Sängerin offenbart sich hier in nur wenigen Sekunden. Nach dieser Katharsis liefert Madita mit „Sip Of Milk“ eine sanft wogende See von analog generierten Soundteppichen, die einen umspült. Doch kurz darauf ist Madita bei „Cruising“ schon wieder unterwegs Richtung urbanem Gefilde, begleitet vom Mauergitarrensound David Gilmours. Zwischen zurückgelehnter Überlegenheit in der Strophe und triumphierender Euphorie des Refrains erklingen Elektroniksounds die an Mandalay erinnern, nur ohne dem harmonischen Kitsch und der Popaspekt der Melodieführung könnte an die Anfänge Briskebys referieren, nur ohne der klebrigen Sweetness. Dazu ist die Atmosphäre, die „Pacemaker“ generiert, zu sinister.

Gegen Ende des Albums gelingt Madita ein wahres Glanzstück. Geben die vorhergehenden Songs doch viele Rätsel auf, so wird mit der Nummer „Liberty“ vieles klar und löst sich in einem deutlichen Statement auf. Während die Killers mit einer derart souveränen, tanzbaren Soundbasis wahrscheinlich noch immer die Frage stellen würden, ob wir Menschen oder Tänzer wären, ist Madita längst einen Schritt weiter.

Denn sie scheint uns indirekt die Frage zu stellen, ob wir auch wirklich frei sind, in unserem Leben, in unserem Geist und unserer Seele. Madita ist es auf alle Fälle, wie dieses grandiose, dritte Album beweist.


Erschienen bei Gran Depot / Couch Records

Pressetext: Andreas Gstetner (FM4) / Madita.com