Paradiso Infernal

Paradiso Infernal

»House on Fire« von Occidental Blue Harmony Lovers ist eines der besten 20 Rockalben aus Ö-Land, behaupte ich einmal keck, und die Klangvisionen von Chra heben mich jedes Mal auf ein neues Level, so als würde ich ständig neue Designerdrogen testen. Neugierig frage ich mich, wie es klingt, wenn Christian Schachinger (ehemals OBHL) und Christina Nemec (Chra) sich zusammentun, ganz ohne den kürzlich verstorbenen Peter Rehberg mit dem sie als Shampoo Boy auftraten. Paradiso Infernal nennt sich das Duo, da liegt die Latte hoch, da rattern die Bilder im Schnellvorlauf, da entstehen immense Erwartungshaltungen. Höchstpunktezahl für den Bandnamen, für die Besetzung und wegen der Gitarre, die nicht den tiefen Drones huldigt, sondern hoch schreit! Die Titel sind kurz und passen gut in die Zeit: »Unrast«, »Fluch«, »Lack«, »Kalk« und »Frosthart«. Nach »Unrast« eröffnet »Fluch« mit einem filmmusikhaften Drone, der mich herunterholt von der Unrast, aber nur kurz, denn »Hallo, Fluch, eh klar«, geht es weiter mit »Unrast II«. Gitarrenflächen schieben mich schonungslos wie auf einer Welle dahin, nicht einmal die sanften Brüche helfen, schiere Beklemmung macht sich breit im Paradiso Infernal, wo der »Lack« großflächig bröckelt. Die Unrast schwindet, neue Räume tun sich auf, die Musik verortet sich. Breiter Gitarrensound legt sich episch in ein riesiges akustisches Schwimmbad, menschenleer, im Wind singend und in Eigenresonanz schwingend. Ich will raus, welch’ strenge Kammer. Kalk brennt, erzeugt Wunden, die lange sichtbar bleiben und ganz langsam vernarben. In »Kalk« schleift sich wiederkehrend ein hoher, brennender Sound durchs Stück, während am Ende ein stehendes, abgezwicktes Bluesriff sich abmüht, das Brennen zu löschen. Nach dem Kalken wird es »Frosthart«. Bewegung entsteht, eine traumähnliche Zugfahrt beginnt, mit treibendem Tempo geht es 17 Minuten durch einen abweisenden Körper, auf das Inferno zu. Ab und an suggeriert ein erdiger, meist leiser Gitarrensound einen Ausweg, um mich dann noch schwerer nach unten zu ziehen. Im Fade-out, das gut vier Minuten dauert, entfernt sich der Zug, ich muss nicht mit, darf bleiben am menschenleeren Strand im Winter. Als Fan der Gruppe Winter ist »Paradiso Infernal« genau meine Sache. Ich mag Musik, bei der es kein Entrinnen gibt, wo man nichts nebenbei tun kann, wo man nur zwei Entscheidungsmöglichkeiten hat: an oder aus. Die Gitarre ist das zentrale Soundtool auf dieser Platte, eingetaucht in gewaltige Hallräume und flankiert von konkreten Geräuschen. Gut, dass die Platte kein Soundtrack ist, weil die Musik viel stärkere Bilder evoziert, rauschhaft, psychotisch und paranoid. Meine dunklen Gedankengebäude machen mir Angst. Nach zwei Mal laut »Paradiso Infernal« hören reinigte ich mich mit »Il Mondo« von Jimmy Fontana und »Sefronia« von Tim Buckley. Die Welt hat mich wieder.