Kreisky

Problemmusik zweiter Ordnung

Text: Frank Apunkt Schneider | 04.10.2011

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Fotos: Magdalena Blaszczuk

Zum heutigen Welttierschutztag das neueste Video von Kreisky sowie der Artikel aus skug #87 samt Oktober-Tourdaten.

Jetzt mal im Ernst: Sind Kreisky tatsächlich so wütend, wie mindestens jeder zweite Medienbericht glauben machen will? Sind sie wirklich nur das allerneuste Betriebssystem für die uralte Selbstaussprache-Idee des Rock? Spielen Kreisky denn überhaupt Rock? Oder ist das alles nur Theaterdonner? Und warum machen sie dann nicht gleich Kabarett, wenn sie nicht mehr zu sagen haben als das, was alle eh schon wissen: Wie scheiße sich Spätkapitalismus anfühlt, und so …


Anders gefragt: Um was eigentlich genau nicht sagen zu können, braucht es den ganzen Hype-Sprech um »Trouble«? Worin besteht der heiße Scheiß, um den alle herumreden zu müssen meinen? - Dass es sich der Musikjournalismus mittlerweile angewöhnt hat, mit seinem Gegenstand zu sprechen, wie mit Kindern, die selbstgemalte Bilder anschleppen, wissen wir aus täglicher Lektüreerfahrung. Auch worum es dabei geht: Produktinfotainment. Schafft ein zwei viele Werbeblöcke! »Kreisky dürften mit dieser Platte erneut Kritiker wie auch Anhänger rundum zufrieden stellen«, meint www.britishrock.cc. Und richtig: Eine Band muss heute Serviceangebot sein, über das PopverbraucherInnenberatung informieren kann. Vermutlich stehen deswegen so genannte Indiegruppen je höher im Kurs, desto ungefüllter sie daherkommen.

Potemkinscher Dorfklatsch

Der sich durch die Kreisky-Rezeption ziehende Jesus Lizard-Vergleich trifft es hingegen ganz gut. Jesus Lizard waren schließlich eine ganz okaye Noiserockband ohne besondere Vorkommnisse, die die notwendige Definition von Genredurchschnitt vornahm und damit für entsprechende SpartenhörerInnen relevant war, für den Rest aber eher vernachlässigenswert. Sie waren ja nicht die Melvins, nicht die besseren Momente der Cows, nicht die Happy Flowers, nicht die Butthole Surfers, nicht die Drunks with Guns und schon gar nicht die Boredoms, also Bands die jede/r braucht.

Wie bei Jesus Lizard gibt es auch bei Kreisky jene Momente gar nicht, die so viele Rezensent_innen dort gehört haben wollen: den »unbarmherzigem Noise« (»Intro«) oder den »an Magenverstimmung leidenden Bass« (»Der Standard«). Und natürlich auch keine: »Zukunft des Rock« (»Culturmag«). Was so tut, als hätten wir es hier mit der ersten Mutter-Platte zu tun, ist nichts weiter als vollautomatische Popschreibe, die das Besondere von Kreisky eben deswegen nicht erkennen und schon gar nicht benennen kann, weil sie dafür noch gar keine Floskeln ausgebildet hat. Denn dazu müsste es erst einmal hervorgepult werden unter all dem, was standardmäßig über eine neue Kreiskyplatte ausgeschüttet wird. »Trouble« verlangt jedoch nach einer Unterscheidung anstelle unmotivierter Vergleiche ins Blaue hinein mit zum Beispiel den Goldenen Zitronen (»Hamburger Abendblatt«, »De:Bug«, »Intro«), frühen Blumfeld (»De:Bug«, »Musikexpress«, »Intro«, »Xaver.de«) oder Halblangweilern wie Surrogat.

Dass ihre Musik nichts aufsprengt oder zerstört, sondern sich an der Oberkante des Gerade-Noch-FM4-tauglichen verausgabt, scheint mir eher Bestandteil einer Inszenierungsstrategie zu sein, die als solche aber nirgends auf der »Presse«-Subseite ihrer Homepage auftaucht. Dabei könnten »die Wut« (»Intro«, »Kronen Zeitung«, »Der Standard«, »city-flyer.at«, »Der Tagesspiegel«) bzw. »der Grant« (»FM4«, »Profil«, »InWien«, »Kronen Zeitung«, »Kleine Zeitung«, »Die Presse«) vielleicht ja etwas ganz anderes darstellen als nur unmittelbare, subjektive Reaktionen auf die Beschissenheitsstandards der spätkapitalistischen Wirklichkeit. Die finden wir ja bereits hinreichend bei all jenen deutschen Bands besungen, die dann lieber doch nicht Wirklichkeitsversöhnungsangebote à la Tomte sein wollen und dafür mit einem halbernsthaften Goldene-Zitronen-Vergleich belohnt werden.

Kalte Wut

kreisky2.jpgDie Wut, die Kreisky weniger rauslassen als aufführen, ist jedenfalls keine, die sich aus der spätkapitalistischen Logik, wie sie den beherrschenden Subjektivitätstyp der Gegenwart prägt, freisprengen könnte, weder per Ausbruch noch per Anfall. Darauf beharrt auch die Kleine Zeitung, wenn sie darauf hinweist, dass Kreisky »auch in Deutschland ähnliche Aufmerksamkeit wie Ja, Panik! und Gustav verdient« hätte. Wut, zumal jene, wie sie die genervteren Spielarten von Jungsrock anzubieten haben, hat von vorneherein also eine Warenform im Konkurrenzkampf der Popstandorte. Als solche lässt sie sich dann als österreichischer Qualitätsgrant auf den deutschsprachigen Markt schleppen. Das ist nicht schlimm, verändert die Wut aber. Wo sie als etwas Authentisches hergezeigt wird, findet eine Täuschung statt, die uns über unsere umfassende Verfallenheit beruhigen soll: Es gibt noch ein Außen, das als echter Zorn oder wahrhafte Verweigerung darstellbar ist. In ihnen können wir zeigen, dass wir nicht einverstanden sind, und uns dadurch als kritische Subjekte beweisen. So funktioniert bürgerliche Kunst seit jeher, und wo Rockmusik deren alte Authentizitätsideologie aufwärmte, war sie schon immer eine Agentin des Systems.

Die Wut bei Kreisky ist aber vielleicht gar keine, die geglaubt werden soll. Jedenfalls nicht im Sinne von etwas Echtem, Unmittelbarem, Rausgewürgtem. Sie scheint auf merkwürdige Weise neben sich zu stehen, wirkt eher heruntergeleiert, mehr müde als wirklich aufgebracht, immer etwas zu apathisch und automatisch. Sie ist eine Art teilnehmende Beobachtung an der sich zusehends verkomplizierenden spätkapitalistischen Gefühlswirklichkeit. Eine Rollenrede mit ungeklärter Trägersubstanz.

Ihre besten Momente liegen da, wo die Performance von Frustration ins Absurde abschmiert. Und die Stärke der Musik besteht dann darin, dies zu illustrieren und zu unterstreichen, also als eine Bühne zu fungieren, ähnlich wie im Glamrock oder bei klassischem Crooning.

Sie darf sich dabei nur niemals wirklich von sich selbst überwältigen lassen und dergestalt in die Identitätsfalle traditioneller Noisemusiken verfallen, die Noise als subjektiven Einspruch gegen die falsche Welt spielen wollten: als Dreck, Aufschrei oder Aufbäumung. Die Wut von Kreisky scheint jedoch gar nicht aus sich heraus zu können. Sie schäumt niemals über. Als gebändigte ist sie vor allem die Wut über ein Gefühl, das sich zwar noch als Geste und Zitat aus tausend Jahren Jungmännersozialisation abrufen lässt, aber eben auch nichts anderes besagt, als das, was eben alle sagen. Sie ist nur Ausgleichssport zum täglichen Sitzen in der Scheiße, aber letztlich doch genauso kleinlaut, verkrampft und kontrolliert, wie all die anderen Gefühlsroutinen, die das spätkapitalistische Subjekt als Bestandteil seiner Selbstvermarktung ausgebildet hat. Kreiskys Noiserock dreht eigentlich immer kurz vor der Eruption bei. Nie wählt er die Amok-Variante eines GG Allin. Die von Kreisky dargestellte Männerrocksubjektivität ist ein operettenhaftes »I want to break free«, wobei wir im Unklaren darüber gelassen werden, ob ihnen das überhaupt selbst bewusst ist. Die eher Noiserock-inkompatible neoliberale Arbeitsuniform, die Kreisky auf ihren Pressefotos durchziehen, könnte aber immerhin ein Hinweis auf die Bewusstheit dieser Inszenierung sein.

Scheiße, Schauspieler!

Schlüsselstück zu einem solchen konzeptuellen Verständnis von Kreisky wäre auf »Trouble« (neben der dramatischen Miniatur »Menschen brauchen Liebe«) das wohl bereits hinreichend bekannt gemachte Kolportagestück über SchauspielerInnen, die plötzlich einfallen und einem nicht näher bestimmten »Wir« den Abend versauen, indem sie unter anderem »die Mädchen« klarmachen. Und sich dabei natürlich wie tausend Jahre alte SchauspielerInnenklischees aus einer Pro7-Komödie benehmen: »Und dann hören wir legeres Gebrüll/Jemand redet so laut, das versteht die ganze Stadt/Und dazwischen hört sich einer selber gerne lachen«. Als Hatespeechklopper gegen eine Berufsgruppe, die den Authentizitätsversessenen ja traditionell verdächtig ist, wäre das natürlich reaktionär. Die klärende Brechung erfolgt aber allerspätestens mit dem Video, wo die Arbeitsbedingungen des Gewerbes recht unverblümt gezeigt werden und sich Kreisky selbst als Aufführung zu erkennen gibt. Damit wird dann auch das vermeintlich authentische Rocksubjekt Franz Adrian Wenzl zur Darbietung verkleinert. Er ist nicht mehr jene Real-life-Person hinter den Inszenierungen »Austrofred« und »Wenzel van Böhmen« (als Sänger bei King of Japan), die sich nun endlich einmal ›wirklich‹ auskotzt - und vor allem: sich selbst. Auch sie ist nur eine weitere Spielfigur im Persönlichkeitenfuhrpark von Austrofred - oder wem auch immer. Dadurch wird schließlich doch noch die Frage aufgeworfen, was an den Schauspieler_innen des Stückes eigentlich genau nervt. Vielleicht doch nur, dass sie sich als das spielen, was von ihnen per Pro7-Horizont bzw. Burgtheaterkultur erwartet wird? Und: Nerven unter den aktuellen Bedingungen nicht alle? Bedeutet Spätkapitalismus nicht das Überleben des Penetrantesten? Kreisky jedenfalls zeigen, dass all die Selbstbefreiungsversuche durch den rockistischen Rekurs auf Echtes, Ungebändigtes, Ungezügeltes, Destruktives nicht Teil der Lösung sind, sondern zum Problem gehören, eben so wie ihre standardisierte mediale Rezeption, die sie nur allzu gern als mehr oder weniger typisches Jungsrockereignis verhaftet und damit die Subversion von rockistischen Klischees bei Kreisky in den Bereich des Unsagbaren entsorgt hat.

Video von Kreisky, Releasedatum 4. 10. 2011


Der Song »Bitte Bitte« kommt vom aktuellen Album »Trouble« und wird mittels Gitarre, Schlagzeug, Bass, Tasteninstrument und Stimme auch auf der kommenden Kreisky-Herbsttour live vorgetragen.

Text: Frank Apunkt Schneider | 04.10.2011