Der Wiener Musiker Herbert Lacina wird am 4. November 2020 im Café Korb mit der One.Night.Band, einem Ensemble mit Mia Zabelka, Zahra Mani und Andres Bosshard akustische Signale zum Mond schicken. »Mondartige Musik« nennt das selbstbezeichnete »Rock-Fossil« Herbert Lacina diesen Prozess. Welche Bezüge er zum Deep Listening-Konzept von Pauline Oliveros hat, warum er an der Monday Improvisers Session im Celeste hängt und wie er zu seinem Seelenheil gelangt, erzählt Herbert Lacina im Gespräch mit skug.
skug: Bei der 33. Festivalausgabe von Wien Modern gibt es heuer eine Uraufführung von dir. Eine Hommage an …
Herbert Lacina: … Pauline Oliveros. Das Stück heißt »Vom
Wasserspeicher zum Mond … und zurück«. Warum Wasserspeicher? Ich bin
glücklicher Besitzer einer alten Vinyl-Schallplatte aus dem Jahr 1986,
wo Pauline Oliveros in einem Kölner Wasserspeicher spielt. Den Abend im
Café Korb unter dem Titel »Echoes from the Moon. In memoriam Pauline Oliveros«
werden wir zu viert als One.Night.Band Ensemble bestreiten. Mit dabei
sind der Schweizer Klangkünstler Andres Bosshard sowie die Bassistin
Zahra Mani und natürlich Mia Zabelka. Bei dem Projekt von Mia Zabelka
und Andres Bosshard geht es um eine Umsetzung, die Pauline Oliveros vor
langer Zeit einmal realisiert hat: Klänge zum Mond zu schicken. Die
Reflexionen kehren zurück …
Wie sehr haben dich die Prinzipien des Deep Listening, ein
Begriff, den Pauline Oliveros geprägt hat, beeinflusst? Oder anders
gefragt, wie bereitest du dich auf diese Hommage vor?
Ich habe Interviews mit ihr durchgehört. Das war sehr wichtig,
weil ich mit der Stimme eines Menschen sofort sehr viel anfangen kann,
und interessant, weil ich mir Pauline Oliveros ganz anders vorgestellt
habe. Sie hat viel Humor und das hat mich sehr angesprochen, da ich sie
eher für eine strenge und eher esoterische Persönlichkeit hielt.
Natürlich habe ich auch viel Musik von ihr gehört. Ich habe kein
Akkordeon ‒ Pauline Oliveros’ Hauptinstrument ‒ und werde stattdessen
ein indisches Harmonium, eine sogenannte Shruti-Box mit eineinhalb
Oktaven verwenden. Im Klangbereich werde ich es elektronisch erweitern.
Ein wenig Vorgeschichte zu Deep Listening: Es hat für mich einmal ein
tiefsitzendes Klangerlebnis gegeben. Jan Garbarek hat in den Bergen von
Norwegen eine vier Meter hohe Windorgel aus Metallteilen aufgestellt,
die er selber gebaut hat. Mich hat sein Musizieren damit derartig
beeindruckt, da ich so etwas noch nie in meinem Leben gehört habe. Das,
was ich mit meinen 12-saitigen oder 7-saitigen Bässen und der Elektronik
mache, ist der Versuch, eine Klangvorstellung zu finden, die ich
wahrscheinlich nie finden werde. Aber ich kann einen Strom an Energie
erzeugen ‒ für mich und die anderen Muszierenden und für das Publikum
einen Raum eröffnen. Insgesamt geht’s für mich darum in der Musik: Raum
für die Zuhörenden und die Mitmusizierenden zu schaffen!
Wie wichtig sind für dich visuelle oder skulpturale Aspekte beim Musizieren?
Ich bin Mitglied der IG Bildende Kunst und bin offiziell
anerkannter graphischer Künstler. Räume, Dimensionen und Farben sind in
meiner Musik. Ich habe in den letzten Jahren immer mehr das Element
Licht via LED-Lichtwerfer integriert. Bis vor einigen Jahren gab’s
Vernissagen meiner grafischen Arbeiten – mit Musik von mir. Wer weiß,
vielleicht lasse ich das wieder auferstehen.
Die Leidenschaft für das experimentelle Bassspiel kam aber schon davor?
Ich habe in den 1970er-Jahren klassische Gitarre studiert.
Damals war die Musikhochschule noch sehr rigide und autoritär und
dadurch wurde mir das Gitarrenspiel verleidet. Später habe ich als mir
adäquateres Instrument den Bass entdeckt. Das reine Skalen- und
Riffspiel wurde mir bald langweilig. Dieses Rauf- und Runterturnen von
Jazzskalen in verrauchten Lokalen am Abend war mir zu wenig. Ein
Instrument ist ja ein Klangobjekt, mit dem man sich unbegrenzt spielen
kann. Für mich geht es primär um den Klang und die Atmosphäre und nicht
um vorgeschriebene Harmonien.
Damit hat sich der Weg zur Improvisation vorgezeichnet …
Tief in mir drinnen bin ich ein Rock-Fossil. Auch war ich ein
Fan des Jazzrock der 1970er-Jahre. Meine Lieblingsgruppe war The Soft
Machine. Ich bin nicht nur für Nebelklang und Besinnlichkeit. In
diversen Formationen habe ich Blues und Rhythm and Blues gespielt, aber
das war für mich nicht sehr erfüllend. Ein Schlüsselerlebnis verdanke
ich Michael Fischer. An einem Abend vor vielleicht fünfzehn Jahren bin
ich in die Blaue Tomate gegangen und habe Michael Fischer mit einer
Formation erlebt. Ich war platt, dass es so eine Musik gibt. Nach dem
Konzert habe ich ihn gefragt, wo man in Wien Kontakt zu Musikerkreisen
dieser Art von Musik bekommen kann. Und der Michael hat mich ins Celeste
geschickt. Dort habe ich die Impro-Abende, die Monday Night Sessions
von Marco Eneidi, erlebt. Eine aufregende Welt! Die Monday Improvisers
Session gibt es jetzt ja immer noch, geführt von Susanna Gartmayer,
Thomas Berghammer und Didi Kern. Dort lernt man einfach die
unglaublichsten Menschen kennen. Viele Formationen und Freundschaften
haben sich daraus gebildet. Ich konnte auch mit Martin Wichtl auf der
Bühne stehen. Das war schon sehr herzerwärmend, wenn man mit einem Idol
aus der Schulzeit auftreten kann. Diese brachiale Free-Jazz-etc.-Sache
war meine Sozialisierung in Richtung Improvisation. (Anm.: Martin
Wichtl: 1941– 2012 Lehrer, Jazzmusiker, Komponist; Spontan Music Trio
u.v.a. http://www.wichtl.at/martin)
Mit Michael Fischer bist du ja jetzt auch in der Band Recycling of Jazz …
Die Welt der Improvisationsmusik ist meist eine sehr flüchtige.
Es bilden sich Formationen oft nur für einen Abend. Das macht es auch
spannend und prickelnd. Recycling of Jazz gibt es nun schon das elfte
Jahr. Wir waren übrigens via Renald Deppe eine der ersten Bands, die in
der Strengen Kammer im Porgy & Bess aufgetreten sind. Die Besetzung
am Schlagzeug und Piano hat über die Jahre hinweg gewechselt. Wir treten
zirka zweimal im Jahr auf und dieses Projekt ist auch textbasiert.
Michael Fischer wählt dafür am Nachmittag fünf Kilo Bücher aus der
Bibliothek, die er anschleppt, um dann mit Stimme und Text
improvisierend ins Musikgeschehen zu intervenieren, wenn sich’s ergibt.
Du organisierst und kuratierst ja mittlerweile selber sehr
fleißig. Und immer wieder arbeitest du auch mit Stimme und Sprechtexten …
Ja, diese Ebene ist mir sehr wichtig. Im Kunstraum
Ewigkeitsgasse organisiere ich nicht nur die PianoKonklave, eine Reihe,
in der Pianist*innen gefeatured werden, sondern auch Lesungen mit Musik.
Dort waren fast alle der Grazer Autor*innenversammlung. Ein festes
Ensemble, das in diese Richtung arbeitet, habe ich gemeinsam mit Karin
Spielhofer. Das Hörstück »Weiter« von ihr gibt es am 29. Oktober 2020 im
KunstBetrieb, 1180 Wien, mit dem Ensemble Einfache Einfahrt ‒ wir haben
nach drei Jahren endlich einen Namen gefunden ‒ zu hören. Das Ensemble
Einfache Einfahrt besteht weiters aus der Schauspielerin Gabriela Hütter
und der Sängerin Anna Anderluh. Eine weitere Lesung im Trio ist geplant
mit der Autorin Astrid Nischkauer und der Toy-Pianistin Gloria Damijan,
eigentlich eine Wiederaufnahme unserer Zusammenarbeit von 2019. Und
dann gibt es heuer hoffentlich wieder eine Weihnachtslesung mit Jopa
Jotakin. Ich muss manchmal so lachen, wenn ich ihm zuhöre, dass ich gar
nicht spielen kann. Und 2021 gibt es wieder die Veranstaltungsreihe
»Wein und Ligeti und Ludvig van«, gestaltet von Norbet Stock und
kuratiert von mir im Rahmen des Beethoven-Jahres 2021in Mödling.
Seit 2015 gibt es auch die Plattform SFIEMA, du bist Curator und Secretary …
SFIEMA ist die Abkürzung für Society for Free Improvisation and
Experimental Music Austria. Zurzeit sind die Hauptmotoren bei SFIEMA
Mia Zabelka und ich. Ich wurde damals angerufen und gefragt, ob ich mich
da einbringen möchte. Weiters dabei sind Scientific Researcher Mag.
art. Renate Quehenberger, die bei Peter Weibel gearbeitet hat und der
kanadische Musiker Glen Hall. Hauptsächlich sind wir im Café Korb aktiv,
aber nicht nur. Wir werden in Zukunft eine Kooperation mit Radio Orange
eingehen, am 19. Jänner 2021 wird ein Konzert auf Radio Orange in der
Sendung Connex übertragen. Und worauf wir sehr stolz sind: seit vier
Jahren sind wir bei Wien Modern dabei.
Wie hat sich die Impro-Szene in Wien in deiner Wahrnehmung über die Jahrzehnte hinweg verändert?
Ich habe in den 1970er-Jahren improvisierte Musik im Wiener
Nukleus Jazz Freddy in der Schottenfeldgasse erlebt. Dort waren das John
Surman Trio, Martin Wichtl, Wolfgang Puschnig, Fritz Novotny & Co
aktiv. Die sind fast alle vom Free Jazz gekommen, das waren schon
gewaltige Konzerte und sie waren für mich sehr prägend. Ich ging zu
vielen Konzerten … in die Jazzspelunke, Willys Rumpelkammer, Uzzi
Försters Cafe Einhorn und im damaligen 20er Haus gab es auch Konzerte
mit internationalen Größen wie Irene Schweizer, Maggie Nichols, Leszek
Szadlo, Eje Thelin, Wayne Darling … Das alles hat die Wiener Szene schon
sehr beeinflusst. Es haben sich immer mehr so kleine Zellen in Wien
gebildet. Meine Ambivalenz dazu ist: Ich finde die Improvisationsmusik
auch gleichzeitig konservativ, in dem Sinne, dass ich heute zu Konzerten
gehen und Gleiches wie vor vierzig Jahren hören kann, nur das
Instrumentarium ist besser, weil teurer. Manchmal, ehrlich gesagt, gibt
es keinerlei Qualitätskriterien. Es ist eben nicht »anything goes«, gute
improvisierte Musik muss einen fesseln und mitnehmen. Zum Glück hat
sich die elektronische Impro von den Laptopisten weiterentwickelt. Vor
Kurzem habe ich mit Bernhard Loibner beim Vienna Improvisers Orchestra
gespielt und da habe ich wirklich neueste Nuancen erlebt.
Wie kann man für sich das Improvisieren lebendig und frisch halten?
Dieses Musikmachen muss ständig erarbeitet werden. Ich bin ein
Übe-Mensch. Ich kann nicht Nichtüben. Ich brauche das für mein
Seelenheil. Dabei fange ich immer wieder fundamentalistisch von vorne
an, auch bei Skalen. Neubesetzungen können für Frische sorgen. Obwohl
ich schon ein genuiner Bassist bin, kommen ab und zu andere Instrumente
zum Einsatz, z. B. indische Instrumente wie die Tampura, eigentlich auch
ein Rhythmusinstrument. Was mich sehr reizen würde, ist das
Schlagzeugspiel. Bis jetzt spiele ich es noch sehr versteckt unter
Ausschluss der Öffentlichkeit im Proberaum im 18. Bezirk. Das
Körperliche dabei gefällt mir sehr gut, ich bin halt ein Rhythmiker.
Im Hintergrund hören wir allerdings gerade sehr sphärische, ambiente Musik von dir. Welche Phase war das?
Ich hatte auch eine intensive elektronische Phase. Aber man
sitzt nur mehr ständig vor Computerprogrammen und updatet und das
Sinnliche geht dabei verloren. Ich bin dann wieder zum Bass gewechselt
und mache jetzt nur sporadisch elektronische Klangkulissen für diverse
Projekte.
Du bist nun 66 Jahre alt. Hast du noch musikalische Visionen?
Musik ist meine innere und die wahre Ressource meines Lebens.
Ich möchte noch vieles entwickeln, ich muss meine Ideen manchmal eher in
Zaum halten. Wovon ich immer geträumt habe: Ich würde gerne ein
kleines, feines Kulturzentrum aufziehen. Mit Musik, Ausstellungsfläche
und kleiner Gastronomie. Klein und übersichtlich. Ich finde, es fehlt
hier etwas für den Mittelbereich. Etwas zwischen dem Porgy & Bess
und den vielen Zwergerl-Vereinen wie Kunstraum Ewigkeitsgasse. Mir fehlt
ein Konzertraum für so hundert Menschen mit einem Schwerpunkt
improvisierter Musik. Aber es müssen auch nicht alle Träume realisiert
werden. Danke an: Martin Wichtl, Renald Deppe, Mia Zabelka, Michael
Fischer, Marco Eneidi und die vielen, vielen anderen, die mir zugehört
haben und hoffentlich auch weiter zuhören werden: »Anything not told has
not been known yet!«
Kommende Konzerttermine:
Donnerstag, 29. Oktober 2020, 19:30 Uhr
»Weiter«, Lesung und Musik mit dem Ensemble Einfache Einfahrt, KunstbeTrieb Klostergasse 11 (Ecke Kreuzgasse 64), 1180 Wien https://kunstbetrieb.co
Mittwoch, 4. November. 2020, 22:00 Uhr
»Echoes from the Moon. In memoriam Pauline Oliveros!«, Produktion
SFIEMA, Koproduktion Wien Modern, Café Korb, Brandstätte 9, 1010 Wien https://www.wienmodern.at/2020-echoes-from-the-moon-im-memoriam-pauline-oliveros-20201104-1000-cafe-korb-de
Mittwoch, 25. November 2020, 20:30 Uhr
»Eleven«, Michael Fischer: sax, Herbert Lacina: bass, Elisabeth Flunger: perc, Miles Smiles, Langegasse 51, 1080 Wien https://ig-jazz.at/live/miles-smiles.php