20 Jahre SRA, 20 Jahre österreichischer HipHop - TEIL 1

1993 war nicht nur ein besonderes Jahr, da mit 1993 RO, der erste Plutino unter den transneptunischen Asteroiden entdeckt wurde, Niamh Kavanagh mit dem Lied In Your Eyes für Irland die 38. Auflage des Eurovision Song Contest gewann oder Die Ärzte ihre Wiedervereinigung feierten.

Es war auch das Jahr der Gründung des ersten und einzigen österreichischen Popmusikarchivs, des SRAs (Skug Research Archiv). Aber nicht nur das macht 1993 so speziell für die heimische Popmusiklandschaft.

Es markiert auch den Startschuss für die Bildung einer österreichischen HipHop-Szene. Und das hat wiederum mehrere Gründe, die in den folgenden Zeilen dargelegt werden sollen. Zudem nehmen wir das persönliche Jubiläum zum Anlass, um mit diesem Text auch 20 Jahre HipHop in Österreich zu feiern und dessen Geschichte anhand einiger der wichtigsten Veröffentlichungen – die beinahe alle im Archiv zu finden sind – Revue passieren zu lassen.

Gainful Gullivants

Waxolutionists

Aphrodelics

Compact Phunktion

DJ Cutex

Dubblestandart

Kamp MC

Kruder & Dorfmeister

DJ Megablast

Rodney Hunter

Schönheitsfehler

Texta

Total Chaos

Untergrund Poeten

Austrian Flavors Vol. 1

"Die Boombastische 04"

"...aus dem wilden Westen"

"Gschmeidig"

Frederik Dörfler

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I got more rhymes than an Eskimo got snow

1993 kann als Beginn der alpenländischen HipHop-Szene gesehen werden, da in diesem die erste Werkschau österreichischen HipHops auf Vinyl erschien. Unter der Leitung von Werner Geier wurde im Jänner 1993 Austrian Flavors Vol. 1 aus der Taufe gehoben.

„Mit viel Liebe und vor allem viel Arbeit hergestellt ist "tribe vibes-dope beats" ganz sicher ein mehr als brauchbarer Beitrag zur Community. Hoffentlich bringt das den Stein ins Rollen, jedenfalls ist der Anfang gemacht, und das kann nur eines heißen: jeder ist eingeladen, seinen Beitrag zur Community zu bringen. In welcher Form auch immer; laßt knallen Leute, jetzt geht’s los!“ (Harald Renner alias Huckey, Rapper der Formation Texta in Skug Nr. 13, (1993), S. 45.)


The Vibe is in effect

Der Platte war im Dezember 1991 der Tribe Vibes and Dope Beats – Freestylecontest vorangegangen. Die Verantwortlichen für die gleichnamige erste HipHop-Radiosendung Österreichs waren Katharina Weingartner, Werner Geier (alias Demonflowers) und Stefan Biedermann (alias DJ DSL). Sie hatten zu dem Wettbewerb ausgerufen, um einen zweiten Plattenspieler für das ORF-Studio finanzieren zu können. Da der Contest unerwartet viele, bislang unentdeckte Talente zu Tage förderte, entstand in weiterer Folge die Idee zum ersten österreichischen HipHop-Sampler „Austrian Flavors Vol. 1“.

Aufgenommen wurde dieser in einem der Studios des Funkhauses Wien. Auf der EP jeweils mit einer Nummer vertreten waren die Gruppen Strong Force, Total Chaos und Compact Phunktion, die die Plätze eins, drei und vier beim Contest belegt hatten. – Der zweite Platz war an die Wiener Dub/Reggaeband Dubblestandart gegangen. Mit „Here and There“ unter dem Pseudonym Family Bizness wurde außerdem eine vierte Nummer produziert, auf dem neben den Mitgliedern der drei genannten Formationen DJ Cutex (David Schuller, Sieger der Kategorie „Mix), DJ Megablast (Sascha Weisz) und MC Graffiti (Christian Kogler) alias Rapping Homeboy Squad (Sieger in der Kategorie „Jingle“) sowie die Rapper Todd, Triple D. und Z-Code zu hören sind. Peter Kruder (alias PM 2 the K) ist ebenfalls als Rapper auf diesem Track zu finden. Er war neben Rodney Hunter und Werner Geier für die Produktion der Platte zuständig. Mit „Theme from Big Beat“ ist er zusätzlich mit einem Solo-Stück auf der B-Seite des Vinyls vertreten.

Als „Austrian Flavors Vol. 1“ herausgebracht wurde, kommentierte dies der 2007 im Alter von 45 Jahren verstorbene Werner Geier auf Tribe Vibes folgendermaßen:


„Overthere über dem Teich, da liegen die Wurzeln, overhere hinter den Bergen beginnen die ersten Pflänzlein auszutreiben… klein aber funky. Und der Tribe ist genauso stetig. Ist längst eine Familie, nicht nur Privatvergnügen von DSL, Katharina, Mikey (Anm.: Mikey Kodak) und Demon Flowers. Nicht ohne Stolz: Hier ist die ganze Bande. Das Weltzusammenführungsprogramm – the Vibe is in effect.“ (Werner Geier zitiert aus Jan Braula: Austrian Flavor, in: The Message Magazine Nr. 41, (2010), S. 10)


Die Bedeutung des Contests selbst und des folgenden Samplers ist durch die neu entstandenen Kontakte nicht zu unterschätzen. Peter Kruder lernte bei den Arbeiten zur Kompilation Richard Dorfmeister kennen, mit dem er noch im selben Jahr als Kruder & Dorfmeister die erste EP, „G-Stoned“, veröffentlichte. Diese begründete den folgenden internationalen Erfolg ihres „Vienna Sounds“, der sie weltberühmt machte. DJ Cutex und DJ Northcoast (später Functionist, damals Mitglied der Gruppe Compact Phunktion) sind immer noch zwei der wichtigsten HipHop-DJs Österreichs und arbeiteten später sogar für Tribe Vibes & Dope Beats. Rodney Hunter lernte durch den Contest den Rapper Shadee (damals Mitglied von Compact Phunktion) kennen und gründete zusammen mit zwei weiteren Rappern 1995 die HipHop-Formation Aphrodelics.

Diese schafften es mit der Single „Rolling on Chrome“ 1998 einen internationalen Hit zu landen. Auch wenn ihnen der endgültige internationale Durchbruch leider verwehrt blieb, ist ihnen ein ewiger Ehrenplatz in der heimischen Hall of Fame sicher. Außerdem gründete Rodney Hunter gemeinsam mit Werner Geier 1991 das in den folgenden Jahren erfolgreiche Uptight Productions-Label. Die Freunde Holger Hörtnagl (alias DJ DBH) und Clemens Fantur (alias Manuva) hatten sich erst für den Tribe Vibes-Contest zur Gruppe Total Chaos zusammengeschlossen. Als diese stellten sie bis Mitte der 00er Jahre eines der Aushängeschilder österreichischen HipHops dar und zählten neben Schönheitsfehler und Texta zu den wichtigsten Gruppen der ersten heimischen HipHop-Ära.


Die Duck Squad Posse

1993 stellt aber nicht nur wegen der Veröffentlichung von „Austrian Flavors Vol. 1“ ein besonderes Jahr dar. Zum einen gründete sich genau in diesem Jahr auch die dienstälteste Formation des Landes: Texta. Diese feiert heuer somit ebenfalls ihr 20-jähriges Jubiläum, zu dem das SRA herzlich gratuliert!

Zum anderen trafen 1993 die Gruppen Gainful Gullivants und Illegal Movement aufeinander und fusionierten, um eine gemeinsame Crew namens Schönheitsfehler aus der Taufe zu heben. Als Schönheitsfehler brachten sie noch im Jahr ihrer Gründung ihre erste EP „Broj Jedan“ (serbokroatisch für „Nummer Eins“) auf den Markt. Damit zeichneten sie sich für die erste österreichische Veröffentlichung von Raps in deutscher (sowie serbokroatischer und spanischer) Sprache verantwortlich.

Da die Band kein Label für ihre Platte fand, wurde 1993 auch zum Geburtsjahr des ersten österreichischen HipHop-Labels Duck Squad Platten. Schlussendlich gab dieses den ausschlaggebenden Anstoß, um in Österreich eine HipHop-Szene entstehen zu lassen. Schönheitsfehler ermöglichten mit ihrem Label, den bereits erwähnten Total Chaos 1994 ihre erste Platte „…aus dem wilden Westen“ zu veröffentlichen und auch Texta konnte mithilfe von Duck Squad Platten ihr Erstlingswerk „Geschmeidig“ auf den Markt bringen. – All diese Platten (anfangs wurde strictly auf Vinyl herausgebracht) stellen mittlerweile rare Sammlerstücke dar, die man heute – außer im SRA – kaum zu Gesicht bzw. Gehör bekommen kann.
Das SRA kann aber auch noch mit anderen „Schmuckstücken“ aus dem Umfeld der Duck Squad Posse aufwarten. Etwa die EP „Umstritten wie nie“ von den ersten österreichischen Vertretern des sogenannten Gangsta-Rap Subgenres, den Untergrund Poeten.

Auch die Platte „Naturwaach“ findet sich in der Sammlung des Archivs. Sie ist das einzige Produkt aus der Zusammenarbeit von Skero (Texta), Marimba alias Milo (Schönheitsfehler) und DJ Cutex, die Mitte der 90er unter dem Namen Das dampfende Ei gemeinsam Musik machten. Die Platte bietet auch ein Booklet, mit dessen Hilfe die Besonderheit dieser „HipHop-Supergroup“ zum Vorschein kommt: ihre sinnfreien, beinahe dadaistischen Texte. Ein kleines Beispiel gefällig? Hier ein Auszug aus ihrem Song „Naturwaach“:


           „YO! MTV Raps nimm es auf und spul vor,
            Black und Decker, Black und Decker bohr tiefer,
            meine Reime bohren sich unter deine Haut wie ein Schiefer,
            Schiefer, Schiefer, Schiefer Claudia…“


Duck Squad Platten wirkte sich zwar äußerst positiv auf die heimische HipHop-Szene aus, hinderte die Mitglieder Schönheitsfehlers jedoch daran, sich auf ihr eigenes Projekt zu konzentrieren. Deshalb beschränkte man sich ab 1996 darauf, nur mehr eigene Produktionen sowie Compilations österreichischer HipHop-Songs herauszubringen. So entstanden neben den eigenen Werken wie „Schönheitsfehler ißt… tot“, „Schönheitsfehler kommt!“ oder das kommerziell erfolgreiche „Sex, Drugs & HipHop“ auch die Samplerreihe „Das Gelbe vom Ei“ (1-3) sowie „Die Boombastische 04“.

Die Compilations verschaffen einen sehr schönen Überblick über die wichtigsten Gruppen der 1990er Jahre und darüber, wie langsam aber sicher die nächste Generation immer stärker ins Rampenlicht rückte. Vor allem auf Teil drei und vier der Reihe waren immer mehr Rapper, DJs und Gruppen der nächsten HipHop-Generation vertreten.


Versager ohne Zukunft

Der jüngste Vertreter dieser neuen Generation war Florian Kampelmühler alias Kamp MC. Bereits mit 16 Jahren war er in der Wiener HipHop-Szene als Ausnahmetalent und begnadeter Freestylerapper bekannt. Spätestens als er sich in der Radiosendung Tribe Vibes and Dope Beats zum Besten Rappers Österreich ausrief, war er in aller Munde. Bis er sein erstes (und nach eigenen Aussagen auch letztes) Album veröffentlichte, dauerte es aber dann noch beinahe zehn Jahre. Dafür wurde das 2009 erschienene Album „Versager ohne Zukunft“, für dessen Instrumentale sich der Produzent Whizz Vienna verantwortlich zeigte, von Fans und Fachpresse gleichermaßen gefeiert. Die Platte war ein „instant classic“ und zählt seitdem zu den Meilensteinen österreichischen HipHops.


­Scratchen, scratchen, scratchen, Musik hören und Mixtapes machen.­­

„Da war so eine riesengroße WG, wo es nur um Platten und um Musik gegangen ist, um etwas anderes ist es nicht mehr gegangen. Essen war nebensächlich, es ist nur mehr um Mucke gegangen, das war echt das einzige Thema von früh bis spät. Scratchen, scratchen, scratchen, Musik hören und Mixtapes machen.“ (Christoph Böck alias DJ Buzz im Interview 2010)


Nicht nur auf lyrischer Seite hatte die zweite österreichische HipHop-Generation, die um die Jahrtausendwende auf den Plan trat, einiges zu bieten. Mit den Waxolutionsts formierten sich die drei DJs Zuzee, Buzz und The Bionic Kid Ende der 90er Jahre zur ersten Turntablism-Gruppe Österreichs. Ihr 1999 veröffentlichtes Debütalbum „A smart blip experience“ ist seit seinem Erscheinen ein wichtiger Bestandteil der hiphop‘schen Hall of Fame Österreichs, da es das erste heimische Turntablism-Album (der Plattenspieler wird zum Hauptinstrument) darstellte.

Gemeinsam mit Manuva, dem Rapper des befreundeten Duos Total Chaos, nahmen sie für ihren ersten Longplayer die Nummer „Nachtschattengewächs“ auf. Mit diesem Stück hatte „A smart blip experience“ auch einen Undergroundhit zu bieten, der zu einer der besten Nummern gehört, die jemals über den deutschsprachigen HipHop-Äther geschickt wurden.


„Erst wenn die Sonne untergeht, spüre ich die Wärme und lerne, die Nacht gehört zu mir, so wie zum Mond die Sterne. Spür so gerne, wie die Dunkelheit mich packt und mich zum Leben erweckt. Dann wird die Dunkelheit Hauptsache, Licht zum Nebeneffekt. Ich mag das Licht in der Nacht, mag den Mond, der über Allem wacht. Ich mag die Übermacht, denn in der Nacht, da bin ich wach. Zieh über dein Dach. wie lange dunkle Schatten. Kriech in jede Fuge, jede Rille deiner Platten.“ (Textauszug aus „Nachtschattengewächs“)


2001 konnten die Waxolutionists als erste österreichische HipHop-Gruppe einen Amadeus Award für sich gewinnen. Mit ihren Folgealben „Plastic People“, „Counterfight“ und „We paint colors“ entwickelten sie ihren Stil beständig weiter und ihre internationalen Kollaboration sowie Erfolge sprechen für sich. – Die Waxolutionists schafften es zeitweise sogar bis in die Plattenläden Japans!



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(Teaser: Tonträger Records/Slangsta vs. Gangsta/Ana geht no (Voifett)/...)


Text: Frederik Dörfler | Bearbeitung: Werner Ringitscher | 20 Jahre-Logo: Seb Parzer